Überfall auf die Ukraine - Zum Jahrestag

24.02.23 – von Oliver J. Glodzei

Heute jährt sich Russlands brutaler Überfall auf die Ukraine zum ersten und hoffentlich auch letzten Mal. Annalena Baerbock hatte unserer Fassungslosigkeit am 24. Februar 2022 treffend Ausdruck verliehen: „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht.“ Und in der Tat hat sich vieles verändert in den letzten zwölf Monaten. Es sind unglaublich viele Menschen zu uns, aber auch und vor allem in unsere östlichen Nachbarländer geflüchtet. Menschen, die unsere Hilfe und Solidarität brauchen und die sie dank vieler engagierter Kommunen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern auch erhalten.

Die in Folge des Krieges dramatisch gestiegenen Energiepreise trieben die Inflation in die Höhe und Menschen mit geringem Einkommen an den Rand des Ruins. Robert Habeck hat mit seinem Ministerium großes geleistet, um die Energieversorgung in Deutschland auf sichere Füße zu stellen. Mit Erfolg, wie wir wissen, aber bei den Entlastungen für finanziell eh schon klamme Menschen hat die Bundesregierung getrödelt und auch ziemlich schwach kommuniziert.

Der Krieg hat aber vor allem die Weltpolitik gründlich durcheinander gewirbelt. Die traditionell neutralen Länder Schweden und Finnland drängen in die NATO, die notorisch zerstrittene EU zeigt sich plötzlich geeint und unerwartet stark in ihrem Auftreten gegenüber der russischen Aggression.

Annalena Baerbock hat gemeinsam mit den Partnern in EU und NATO eine breite Allianz gegen die russische Invasion geschmiedet und hat einen nicht geringen Anteil an den erfolgreichen Resolutionen der UN Vollversammlung. Russland ist international weitgehend isoliert und durch globale Wirtschaftssanktionen unter erheblichen Druck geraten. Die Welt, in der wir aufgewacht sind, ist eindeutig nicht die, die sich Wladimir Putin vor Jahresfrist erträumt hatte. Sie hätte es werden können, aber Dank beherzter Politik im Rest der Welt und Dank der bewundernswerten Verteidigung der Ukrainerinnen und Ukrainer ist sie stattdessen zu Putins Alptraum geworden. Und das ist natürlich eine gute Nachricht.

Dass ausgerechnet wir Grünen in den vergangenen zwölf Monaten mehrheitlich zu Befürworterinnen und Befürwortern von Waffenlieferungen an die Ukraine geworden sind, hat viele Menschen verwundert und einige nachgerade entsetzt. Dabei ist diese Haltung bei näherer Betrachtung gar nicht so fremd und nicht einmal sonderlich überraschend. Die Forderung "Nie wieder Krieg" stand nie allein, sondern ist stets gefolgt von "Nie wieder Faschismus". Es ergibt wenig Sinn, Russland mit Nazideutschland gleichzusetzen. Aber dass in Russland ein Regime an der Macht ist, das faschistische Methoden mit einer nationalistisch-chauvinistischen Ideologie zu einer für den Rest Europas hochgefährlichen Melange verarbeitet hat, lässt sich wohl nicht von der Hand weisen.

Die Gefahr, dass einer militärischen Niederlage der Ukraine weitere Bedrohungen und Aggressionen in Richtung Westen folgten, ist sehr real. Die gegenwärtige russische Regierung wirkt nicht, als hätte sie Skrupel, die Einigkeit innerhalb der NATO auch militärisch auf die Probe zu stellen. Darum erscheint es zumindest der großen Mehrheit sinnvoll und notwendig, die Ukraine auch mit Waffen und Munition zu unterstützen.

Letztlich bedeutete es auch gar keinen Frieden, würde die Ukraine von Russland militärisch besiegt und unterworfen, sondern Besatzung und Installation eines Marionettenregimes, ähnlich denen, die bislang in Belarus und den erfundenen "Volksrepubliken" in den besetzten Gebieten ihr Unwesen treiben. Das wäre gleichsam ein Krieg nach innen, wie ihn Diktaturen nun einmal ständig gegen ihre Untertanen führen.

Ein "Abnutzungskrieg" wie er derzeit in der Ostukraine tobt und Mensch und Material verschlingt, heizt die Waffenproduktion auf beiden Seiten natürlich an. Die Rüstungsindustrie der NATO-Staaten profitiert auch für die plötzlich in vielen Ländern als sehr wichtig empfundene Auf- und Nachrüstung mit Militärgerät, das man nach Ende des Kalten Krieges schon für entbehrlich gehalten hatte.

Die Politik muss dringend aufpassen, dass hier keine zigmilliardenschwere Eigendynamik entsteht. Es kann bei der Ausrüstung der Bundeswehr nicht darum gehen, möglichst viel Geld in kurzer Zeit auszugeben, sondern -wie man das eben so macht- im Rahmen eines Gesamtkonzeptes gezielt Schwachstellen zu beseitigen. Das Beschaffungswesen muss dafür wohl wesentlich verschlankt und effizenter gestaltet werden.

Die Welt, in der wir vor einem Jahr aufgewacht sind, ist wirklich eine andere. So vieles hat sich verändert. Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass wir weiterhin Probleme zu lösen haben, die mit dem Kriegsbeginn eben nicht einfach verschwunden sind. Klimakrise, Artensterben und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich etwa bleiben auf der Agenda, werden durch den Krieg sogar beschleunigt.

Es gibt jede Menge zu tun. Halten wir heute also einen Moment inne, stoppen wir aber niemals in unseren Bemühungen, diesen Planeten zu erhalten. Ist der letzte, den wir haben.

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