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06.06.23 –
Nazis, Mafia, Letzte Generation? Wenn es nach Stammtischen und extrem rechtskonservativen Politiker*innen im Wahlkampf geht, besteht da gar kein Unterschied. „Wer mein Auto aufhält, muss ein Terrorist sein, und Terroristen darf man abhören, bespitzeln, präventiv inhaftieren, die Tür eintreten und natürlich auch mit Gewalt von der Terrortat abhalten.“ Das ist die grobe Stoßrichtung, in die die kreative Auslegung des §129 StGB -Bildung einer kriminellen Vereinigung- durch die Münchner Politik, Jurist*innen in Bayern und Berlin und die Springerpresse zielt.
Natürlich war das jetzt genauso polemisch wie weite Teile der Diskussion, die momentan die Gemüter erhitzt. Die Rede ist bei der Letzten Generationvon Menschen, die Gewaltfreiheit nicht nur zu einer ihrer Richtschnüre erklärt haben, sondern die in ihren Aktionen auch vorlebt. Selbst in widerlichster Art aggressive, gewalttätige und kriminelle Wutbürger*innen werden von den Aktivist*innen in der Regel nicht beschimpft oder angeschrien. Außer gelegentlich vor Schmerz natürlich.
Die Anwendbarkeit des §129 wird derzeit heiß diskutiert. Es gibt juristische Einschätzungen dafür und dagegen. Häufig findet sich der Hinweis, dass erst die Neufassung des Paragraphen im Jahr 2017 ihn auch auf Aktivist*innen ausdehnbar machte. Die Neufassung definiert die Straftaten, zu denen sich die „kriminelle Vereinigung“ verabredet als solche, „die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“ Nötigung ist durch den §240 StGB mit bis zu drei Jahren bewehrt.
Dagegen wird eingewandt, dass im weiteren verfügt wird, dass der §129 nicht anzuwenden sei, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“. Das darf man annehmen bei einer Gruppe, die auf eine zweifelsfrei bevorstehende Katastrophe hinweisen und sich nicht bereichern will.
Aber jenseits einer juristischen Bewertung muss sich unsere Gesellschaft fragen, ob wir diese Art von Kriminalisierung legitimen wenn auch nicht legalen Protests wollen. Ist gewaltloser Widerstand Gewalt, wie der CSU Innenminister Friedrich Zimmermann 1983 behauptete? Ganz sicher nicht. Und friedliche Blockaden sind eben auch nicht Handlungen einer kriminellen Vereinigung.
Was tut eine womöglich im Wahlkampf politisierte Justiz in Bayern unserer Rechtsordnung da an? Wurde der §129 2017 vielleicht schon vorbereitend als scharfes Schwert gegen vergleichsweise harmlose Formen des zivilen Ungehorsams geschliffen? Gilt die Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg denn jetzt auch als kriminelle Vereinigung? Oder Land schafft Verbindung? Oder Greenpeace?
Der ganze Vorgang wird immer lächerlicher, je länger man darüber nachdenkt. Von daher wäre es gut und richtig, das Thema einfach politisch abzuräumen und das StGB hier in seiner Definition der kriminellen Vereinigung nachzuschärfen. Ob das gegen den derzeit kalten Wind von den Stammtischen möglich ist?
Um es ganz klarzustellen: Wir wenden uns hier nicht gegen die Verfolgung strafrechtlich relevanter Aktionen der Letzten Generation. Das tun die Aktivist*innen ja nicht einmal selbst. Wir lehnen aber den offenkundigen Missbrauch des Strafrechtes zur Kriminalisierung einer Protestform ab, mit der unsere Gesellschaft und unsere Behörden derzeit schlicht nicht umzugehen wissen. Ratlosigkeit kann aggressiv machen. Der Staat darf sich das aber nicht erlauben. Und er darf es nicht dulden, WIR dürfen es nicht dulden, wenn Wutbürger*innen zur Selbstjustiz greifen und dafür im Netz und den Boulevardmedien auch noch bejubelt werden.
Die Bilder von Polizeikräften, die unverhältnismäßig hart zupacken oder aktiv wegschauen, wenn Aktivist*innen Gewalt angetan wird, sind empörend. Einzelfälle, die genauso wenig zu einer Pauschalverurteilung aller Polizeibeamter führen dürfen, wie einzelne Aktionen, die die Grenzen zum legitimen, friedlichen Protest überschreiten mögen, zu einer Einstufung als kriminelle Vereinigung.
Die Aktionen der Letzten Generation oder auch der Gruppe Extinction Rebellion sind bewusst konfrontativ und radikal und damit selbstverständlich unangenehm, zuweilen sehr nervig und störend und können eben auch strafrechtlich relevant werden. Mit Blick auf diesen letzten Punkt hat die Justiz in den letzten Monaten vermehrt durchgegriffen und Einzelne zu Geldstrafen verurteilt.
Dieses Vorgehen halten wir grundsätzlich für angemessen, Haftstrafen für schlichte Blockadeaktionen und passiven Widerstand gegen Einsatzkräfte allerdings für vollkommen überzogen. Fünf Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung für einen beschädigten Bilderrahmen und eine Straßenblockade, wie sie von einem Berliner Gericht jetzt verhängt wurden, sind es definitiv.
„Recht ist Vernunft, befreit von Leidenschaft“. Es schadet nicht, sich an diesen Grundsatz gelegentlich zu erinnern.
Links/Anhänge:
LTO - Strafrechtliche Fragen und Antworten zu den Klimaprotesten
Expertenmehrheit gegen härtere Strafen für Klima-Aktivisten (Anhörung im Bundestag)
Medien
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