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06.04.23 –
Über die Ostertage werden wieder traditionell Friedensdemonstrationen stattfinden. Die Ostermärsche haben eine über sechzigjährige Tradition in Deutschland. Sie richteten sich in den Sechzigern zunächst gegen die nukleare Bewaffnung (das bekannte Friedenszeichen steht für nuclear disarmarment).
In den Achtzigern brachten die Proteste gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen (NATO-Doppelbeschluss) Millionen von Menschen auf die Straße, Menschen höchst unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Herkunft, die das gemeinsame Ziel einte: Deutschland atomwaffenfrei zu halten. Der „Krefelder Appell“ von 1980 erhielt damals über 4 Millionen Unterschriften.
In Zeiten eines neuen, besonders grausamen Krieges in Europa gewinnen Friedensdemonstrationen, und sicherlich auch in diesem Jahr wieder die Ostermärsche an Bedeutung. Eine neue, geeinte Friedensbewegung will hingegen offenbar nicht entstehen. Zu unterschiedlich scheinen die Ansichten zu sein, um gemeinsam für den Frieden marschieren zu wollen. Warum?
Wir dürfen davon ausgehen, dass die meisten Menschen ehrlich für den Frieden sind. Allein über den Weg dahin sind sich nicht alle einig, weil es nun einmal keinen eindeutigen Erfolgspfad gibt, der in jedem bewaffneten Konflikt funktionieren wird. Aber sehr viele tun so, als gäbe es unumstößliche Gewissheiten. Sie grenzen sich mit fast schon religionshafter Inbrunst ab und Menschen anderer Meinung aus.
Dabei sind die verschiedenen Forderungen, die dieser Tage an die Politik gerichtet werden, in der Mehrheit sicher legitim. Sie zu kritisieren und zurückzuweisen allerdings auch, denn es gibt hier nun einmal keine absoluten Wahrheiten, allenfalls Möglichkeiten, von denen einige nach Erwägung aller verfügbarer Informationen wahrscheinlicher sind als andere.
Und so lesen viele Friedensbewegte die verschiedenen Aufrufe zu Ostermärschen in diesem Jahr besonders kritisch, und viele werden auf eine Teilnahme lieber verzichten, um den zum Teil höchst zweifelhaften Positionen keine Bühne zu bieten. Auch wir Grünen in Lüneburg prüfen sehr differenziert, hinter welchen Forderungen wir uns versammeln können und hinter welchen nicht.
Wir teilen die Forderung nach einer neuen Europäischen Friedensordnung, die natürlich auch Russland einbeziehen muss. Wir teilen auch die Forderung nach einem raschen Ende der Kampfhandlungen und des Krieges in der Ukraine und auch aller anderen Kriege und bewaffneten Konflikte im Jemen, in Syrien, Afghanistan, Äthiopien, Irak, Mali, Myanmar, der Westsahara und anderen Orten. Wir unterstützen auch die Forderung an die Bundesregierung, Waffenlieferungen in Konfliktregionen konsequenter als es bislang Praxis war, zu unterbinden.
Wir Grünen stehen aber mehrheitlich hinter den Waffenlieferungen für die Ukraine. Das ist kein Widerspruch, denn bei dem russischen Überfall auf sein Nachbarland handelt es sich um einen direkten Angriff auf die Europäische Friedensordnung, die Europa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes geschaffen hatte. Es handelt sich um den Auftakt eines Angriffes auch auf uns. Und die EU und ihre Partner tun gut daran, ihn frühzeitig zu stoppen. Das geschieht durch die harten Wirtschaftssanktionen einerseits und durch die militärische, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine andererseits.
Dahinter steckt die historische Erfahrung, die die Länder Europas mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 und der vorhergehenden Annexion von Teilen der Tschechoslowakei 1938 gemacht hatten: Ein aggressiver Diktator, getragen von einer überwiegend ultranationalistisch, chauvinistischen Elite, wird nicht fair spielen, wenn er die vermeintliche Schwäche der internationalen Gemeinschaft mit eigener Stärke verwechselt.
Aus dem gleichen Grund ist auch der Ruf nach einem Waffenstillstand wohlfeil. Nach Ansicht der meisten Expert*innen spielt die Zeit in diesem Krieg vor allem für den Aggressor, der sie dringend braucht, um seine Verluste an Soldaten und Waffen zu ersetzen. Ein Waffenstillstand würde die militärische Lage für die Ukraine also hochwahrscheinlich prekärer machen. Das dürfen wir den Menschen dort nicht antun.
So wie es aussieht, wäre es auch ein grausamer Fehler, die Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen. Ohne den Nachschub aus dem Westen würde das ukrainische Militär die Front vermutlich nicht lange halten können, und weite Teile oder sogar die gesamte Ukraine würden von russischem Militär besetzt werden. Denn die russische Rüstungsindustrie und Infrastruktur sind vom Konflikt ja kaum oder gar nicht betroffen.
Der Krieg wäre damit eben auch nicht vorüber; er änderte nur seinen Charakter. Die Erfahrungen aus Butscha, Irpin, Jahidne, Mariupol, Cherson und vielen Orten mehr lehren das. Die Bereitschaft von 95% der Menschen in der Ukraine, auch bei andauerndem Bombardement weiterzukämpfen, ebenfalls. Ein grausamer Guerilla-Krieg und brutaler Terror gegen die Bevölkerung wären die wahrscheinlichste Fortsetzung. Auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.
Der Ruf nach Verhandlungen ist natürlich richtig. Auch die Bundesregierung muss sich stets gesprächsbereit zeigen. Sie kann allerdings nicht - genauso wenig wie die USA, die EU oder die NATO - über die Köpfe der Ukrainer*innen hinweg verhandeln. Denen kann eine Verhandlung über einen Frieden mit Russland aber nur unter der Voraussetzung, dass Russland sich vollständig aus der Ukraine zurückzieht, also auch von der Krim, zugemutet werden. Auch müssen alle Verschleppten, vor allem die entführten Kinder, zurückgeführt und entschädigt werden. Zugeständnisse in Verhandlungen darf die russische Seite dann allenfalls erwarten, was etwa die Höhe von Reparationen oder die straf- und zivilrechtlichen Ansprüche angeht.
Wir dürfen zuletzt auch die Menschen in Russland selbst nicht vergessen. Wir dürfen es dieser durch Geheimdienstterror und allgegenwärtige Gewalt zutiefst traumatisierten Gesellschaft nicht antun, dass ihre psychopathische, kleptokratische Elite den Sieg in dieser „Spezialoperation“ davonträgt.
Mit Rechtspopulist*innen und Putin-Fans Seit an Seit zu marschieren, stünde allen Friedensbemühungen entgegen. Das Lüneburger Friedensbündnis, dessen Teil wir sind, hat in seinem Aufruf zum Ostermarsch, den wir nicht in allen Aussagen teilen, immerhin ganz klar gemacht: „Rechtspopulist:innen, Querdenker:innen und Menschenfeinde aller Art sind nicht willkommen.“ Das ist gut so. Da können wir mitgehen. Allerdings mit der deutlichen Botschaft: „Solidarität mit der Ukraine!“
Ostersamstag, 11 Uhr, Scunthorpe-Park in Lüneburg
Eine gute Analyse zum aktuellen Zustand der Friedensbewegung findet sich in der Osterwochened-taz: https://taz.de/Friedensbewegung-und-Ostermaersche/!5923326/
Mit Wahl eines/r neuen Kassierer*in sowie einer Beisitzerin.
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