UBA-Chef Troge: »Kernenergie ist nicht öko«

Schluss mit der Debatte um längere Laufzeiten für Atommeiler, fordert der scheidende Chef des Umweltbundesamtes. Die Ökowende kann nur durch Technik und ein anderes Verhalten geschafft werden

30.07.09 –

DIE ZEIT: Herr Troge, der Streit um die Atomenergie läuft wieder heiß ? wie vor 14 Jahren, als Sie Präsident des Umweltbundesamtes wurden. Damals waren Sie kein Gegner der Nukleartechnik, heute sind Sie es. Woher der Meinungswandel?

Andreas Troge: Welcher Meinungswandel? Ich war schon damals ein Nuklearskeptiker, und das, abgesehen von Sicherheitsbedenken, vor allem, weil ausgerechnet bei der Kernenergie versäumt wurde, vom Ende her zu denken. Wir kümmern uns zu Recht um den Verbleib jeder Getränkeverpackung ? wie wir mit den Resten der Kernenergienutzung umzugehen gedenken, wissen wir bis heute nicht. Deshalb hat das Umweltbundesamt schon 1997 erklärt, dass die Nutzung der Kernkraft mit nachhaltiger Entwicklung nichts zu tun hat.

ZEIT: Sollte deshalb der Atomausstieg beschleunigt werden?

Troge: Ich warne jedenfalls davor, gegen den Geist des Atomausstieges zu verstoßen und ausgerechnet die Laufzeit der älteren Reaktoren zu verlängern, so wie es manche Betreiber gerne hätten. In der Öffentlichkeit kursiert zwar die Ansicht, entweder seien die Kraftwerke unsicher, dann gehörten sie abgeschaltet ? oder sie seien sicher, dann gebe es keinen Grund zum Abschalten. Allerdings wissen sämtliche Fachleute, dass es nur mehr oder weniger Sicherheit gibt. Deshalb bin ich dafür, die Kernkraftwerke mit den häufigsten Störungen so bald wie möglich stillzulegen. Und das sind die älteren!

ZEIT: Ein frommer Wunsch. Die Kanzlerin will, dass die Kraftwerke länger laufen.

Troge: Vor der Bundestagswahl sehe auch ich keine Chance dafür. Ich fürchte überdies, dass diejenigen, die unsere Kernkraftwerke nun sechs oder acht Jahre länger laufen lassen wollen, eine Art innere Unruhe in Deutschland erzeugen ? die wir mit dem Atomausstieg meinten überwunden zu haben. Die Forderung schadet dem inneren Frieden.

ZEIT: Das werden Ihre Parteifreunde von der Union nicht gerne hören.

Troge: Aber nur die, an denen die Programmdebatte der CDU vorbeigegangen ist. Das CDU-Umweltprogramm von 1989 sagt: Die Kernenergie ist eine Übergangsenergie, bis Ersatz gefunden ist. Wenn ich heute von meiner Partei höre, die Kernenergie sei immer noch eine Übergangsenergie, dann frage ich mich, was wir in 20 Jahren gemacht haben; wir haben dafür gesorgt, dass die erneuerbaren Energien schnell wachsen! Und wenn ich weiter höre, dass Mitglieder meiner Partei die Kernenergie als »Ökoenergie« bezeichnen, dann verschlägt es mir geradezu die Sprache. Man kann doch einer Energieform nicht nur deswegen das Ökoetikett verpassen, weil bei ihrer Nutzung vergleichsweise wenig Treibhausgase entstehen. Das ist vorsätzlich eindimensional.

ZEIT: Wenn Atomstrom keine Ökoenergie ist, dann ist es Kohlestrom erst recht nicht. Wo also soll in Zukunft der Strom herkommen?

Troge: Die Stromversorgung muss nicht von heute auf morgen umgekrempelt werden. Wir müssen und können noch einige Zeit mit den Kohlekraftwerken leben, die schon am Netz sind. Hinzu kommen einige, die gerade gebaut werden und ein halbes Jahrhundert Strom erzeugen werden. Eine gewisse Grundversorgung ist also gesichert. Gleichzeitig kommt immer mehr Strom aus erneuerbaren Energien, und das wird weitergehen. Das Problem liegt woanders: Bisher ist es im Grund gar nicht gelungen, die Energienachfrage zu senken. Auch die Meseberger Beschlüsse von Schwarz-Rot haben in dieser Hinsicht Erwartungen geweckt, denen keine entsprechenden Taten folgten. Als es konkret wurde, hat man viele Vorhaben verwässert, wie klare Energieverbrauchskennzeichnungen oder harte Grenzen für den CO2-Ausstoß von Pkw.

ZEIT: Warum ist es so schwierig, die Welt energieeffizienter zu machen?

Troge: Ein Webfehler im Umweltschutz: Derjenige, dessen Vorhaben kurzfristig und vordergründig mit größeren Belastungen verbunden wäre, muss sich rechtfertigen ? was ihn schnell zum Verlierer werden lässt. Wenn beispielsweise Agrardiesel in Deutschland teurer ist als anderswo, gerät die Politik unter Druck, die Energiesteuer zu senken. Da geht es dann nicht mehr um Umwelt-, sondern um Einkommens- und Agrarpolitik. Solche Gefechtslagen sind kein Einzelfall und erklären, warum Umweltpolitiker leider oft den Kürzeren ziehen.

ZEIT: Weil Ökoideen fast immer die Kosten treiben, gelten sie obendrein als ungerecht.

Troge: Einspruch. Die Behauptung zum Beispiel, erneuerbare Energien seien teurer als die konventionellen, gehört zu den großen Lebenslügen unserer Zeit. Würden sich alle Umweltkosten im Preis der herkömmlichen Energien widerspiegeln, dann sähe es für sie gar nicht gut aus. Nur weil ihnen die wahren Kosten nicht angelastet wurden, sind Kohle und Co. konkurrenzfähig.

ZEIT: Trotzdem, steigende Kosten verursachen ein Gerechtigkeitsproblem.

Troge: Schon, aber als Erste schreien immer diejenigen, die am meisten haben. Davon abgesehen: Umweltpolitik ist keine Sozialpolitik ? und sie sollte auch nicht sozialpolitisch missbraucht werden. Die Gerechtigkeitsfrage müssen schon andere Politikfelder lösen. Und gar keinen Sinn ergibt es, mit dem Gerechtigkeitsargument die Illusion zu nähren, durch Wirtschaftswachstum zulasten des Naturvermögens könnte man reicher werden. Diesen Denkfehler müssen wir uns eingestehen. Bisher hat es die Demokratie nicht geschafft, die wahren Kosten auch anzurechnen.

ZEIT: Kennen Sie eine brauchbare Alternative zur Demokratie?

Troge: Natürlich nicht. Die Frage ist aber, ob sich innerhalb der Demokratie etwas verbessern lässt. Ich habe zum Beispiel schon 1995 vorgeschlagen, einen Nachhaltigkeitsrat einzurichten, anders als wir ihn heute haben. Ich hatte mir diesen Rat als eine Art Wächter der nachfolgenden Generationen vorgestellt. Wollte man aber nicht.

ZEIT: Lassen sich Umweltprobleme nur lösen, wenn der Staat eine bestimmte Technik wie zum Beispiel den Abgaskatalysator verordnet?

Troge: So etwas ist wichtig, weil es Veränderungen erzwingt. Aber ökologisches Wirtschaften verlangt darüber hinaus einen Wandel im Verhalten, der sich gar nicht erzwingen lässt.

ZEIT: Freiwillig begibt sich aber kaum jemand auf den Weg der Askese.

Troge: Obwohl Askese, also Selbstreflexion, vielen nicht einmal schaden würde. Aber im Ernst, wir brauchen beides: Ökotechnik und Verhaltensänderungen.

ZEIT: Sind die Deutschen umweltbewusst genug, um durch Verhaltensänderungen ihren Beitrag zur Weltrettung zu leisten?

Troge: Ich würde mich nicht darauf verlassen.

ZEIT: Warum nicht?

Troge: Weil der Mensch ein Erfahrungswesen ist, also zum pathologischen Lernen neigt. Wir ändern unsere Alltagsroutinen erst, wenn wir richtig schwere Rückschläge erlitten haben.

ZEIT: Hinsichtlich der Bekämpfung des Klimawandels lässt das nichts Gutes hoffen.

Troge: Genau. Wir müssen auf Basis der wahrscheinlichen Zukunftsszenarien heute die richtigen Schlüsse ziehen; das setzt im Grunde eine evolutorische Fortentwicklung des Menschen voraus. Beim Klimaschutz, aber auch beim Meeresschutz sehe ich immerhin Anzeichen dafür.

ZEIT: Es wird ja auch immer Alarm geschlagen.

Troge: Zum Glück gibt es diese Kassandras, denn es steht immer mehr auf dem Spiel: mehr Menschen und mehr Reichtum.

ZEIT: Apropos Kassandra: Waldsterben, Müllnotstand, Sommersmog ? in den vergangenen Jahren ist doch das eine oder andere Mal zu laut vor dem Weltende gewarnt worden, oder?

Troge: Natürlich sind auch in der Umweltdebatte Extrempositionen im Spiel gewesen.

ZEIT: Hysterie?

Troge: Nein. Wir registrieren auch heute noch erhebliche Waldschäden ? und wir würden noch viel mehr registrieren müssen, wenn nicht seit Mitte der 1980er Jahre wichtige Regeln zur Luftreinhaltung erlassen worden wären. Beim Sommersmog ist es ähnlich. Und der Müllnotstand war nun wirklich extrem. Also haben wir Müllverbrennungsanlagen gebaut und besonders schädliche Produkte wie Batterien oder Elektrogeräte in separate Verwertungskanäle gebracht. Nur deshalb redet heute niemand mehr vom Müllnotstand.

ZEIT: Die Umweltpolitik hatte ihre Erfolge.

Troge: Und ob, für den Anfang. Die Frage ist nur, wie Menschen dazu veranlasst werden, sich auf Dauer umweltverträglich zu verhalten.

ZEIT: Nämlich?

Troge: Vermutlich müsste vor allem ein fast ehernes Recht des Geschäftslebens gelockert werden: die Möglichkeit, als Unternehmer Geschäfte zu machen und die Haftung zu beschränken. Die Haftungsbeschränkung lässt die Menschen mehr Risiken eingehen, als sie eigentlich zu tragen bereit sind ? mit Folgen, die wir im Finanzsektor gerade erleben. Ich kann nur hoffen, dass wenigstens im Umweltbereich die Haftung intensiviert wird.

Das Gespräch führte Fritz Vorholz

Andreas Troge, UBA-Chef seit 1995 und CDU-Mitglied, scheidet wegen gesundheitlicher Probleme aus dem Amt

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