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10.12.22 –
Iranischer Aufstand und nukleare Bedrohung: Wie sollte der Westen reagieren?
Lassen Sie mich mit dem iranischen Aufstand beginnen. Ausgelöst wurde er am 16. September durch der Tod von Mahsa Amini. Die 22-Jährige wurde zu Tode geprügelt, weil sie ihren Hidschab zu locker trug, aber auch, weil sie Kurdin und damit Angehörige einer unterdrückten ethnischen Minderheit ist.
Ihr richtiger Name war Jina Amini, aber Jina war ein kurdischer Name und wurde daher von den Behörden verboten. In ihren offiziellen Dokumenten wurde sie als “Mahsa” eingetragen, ein persischer Name, der von der Islamischen Republik zugelassen ist. Dies ist nur ein kleines Beispiel für die systematische Diskriminierung von Kurden.
Aber auch andere ethnische Minderheiten leiden in besonderer Weise unter dem Terror des Regimes. Deshalb sind es neben den Kämpfen der Frauen, auf die ich gleich zurückkommen werde, auch die Kämpfe der ethnischen Minderheiten, die den Aufstand gegen das Regime prägen. Dies gilt besonders für den kurdischen Nordwesten des Landes wie auch für die Provinz Sistan und Belutschhistan, die im Südosten an Afghanistan und Pakistan grenzt.
Der Iran ist ein Vielvölkerstaat, nur etwa die Hälfte seiner Bewohner wachsen mit Persisch als Muttersprache auf. Die andere Hälfte wird von ethnischen Minderheiten, zum Beispiel den Azeris, Kurden und Turkmenen gestellt, die seit fast 100 Jahren diskriminiert werden und heute oft auch mit Waffengewalt die Kämpfe für den Sturz des Regimes unterstützen.
Entscheidend aber sind die Entschlossenheit und die Ausdauer der Mädchen und Frauen, die massenhaft und tagtäglich ihr Leben riskieren, indem sie ihre Schleier entfernen und verbrennen, sich öffentlich ihre Haare abschneiden oder in den Mensen der Universitäten die verordnete Trennung der Geschlechter aufheben und sich in die eigentlich nur für Männer bestimmten Säle drängen.
Täglich töten die Scharfschützen des Regimes jugendliche Teilnehmer von Demonstrationen, mindestens 287 Menschen wurden bis Ende Oktober vom Regime getötet, darunter 46 Kinder und Jugendliche. 14.000 Regimegegner wurden bis Ende Oktober verhaftet und in die völlig überfüllte Gefängnisse geworfen. 42 Prozent dieser Verhafteten waren jünger als 20 Jahre, nur zehn Prozent über 35. Hier kämpfen Kinder und Jugendliche um die Zukunft ihrer Welt.
Ihr beispielloser Mut mobilisiert alle sonstigen Segmente der Gesellschaft: Es sind nicht nur die Lehrer, die streiken, sondern auch Arbeiter der großen Öl- und Gasfirmen und die konservativen Händler des Teheraner Basar. Die Ausdauer und Radikalität der Aufständischen stellen alle früheren Erhebungen in den Schatten. Wir haben es heute im Iran mit der ersten progressiven Revolution in der Geschichte des Nahen Ostens zu tun. Wird sich das Regime noch einmal retten können?
Warum hält das Regime so verbissen am Kopftuchzwang fest?
Die prominente Journalistin Masih Alinejad hat den Kopftuchzwang mit der Berliner Mauer verglichen. Als die Mauer verschwand, war es mit dem Sozialismus im gesamten östlichen Europa vorbei. Verschwindet der Kopftuchzwang, ist es mit dem gesamten islamistischen Regime in Teheran vorbei. Doch warum ist der Kopfschleier der Knackpunkt, der dieses Regime zum Einsturz bringen kann? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich einen kleinen Ausflug in die Geschichte zu unternehmen.
1979 siegte Khomeinis islamistische Revolution im Iran. Entscheidende Impulse hatte sie von der Muslimbruderschaft in Ägypten erhalten, die 1928, also 50 Jahre vorher gegründet worden war. In diesen Zwanzigerjahren hatte die Befreiung der Frau in Ägypten begonnen. Es gab eine Frauenbewegung, deren Anführerin – Huda Scharawi – ihren Schleier demonstrativ ins Meer warf. Es gab eine Reformtendenz im Islam, die von Atatürk in der Türkei und von Reza Schah im Iran angeführt wurde.
“Nichts in unserer Religion verlangt, dass Frauen den Männern unterlegen sein müssten” erklärte Atatürk und verordnete eine rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. Es waren diese Modernisierungen, gegen die sich die Muslimbruderschaft als Sammelbewegung zur Wiederherstellung der patriarchalen Dominanz formierte.
Die Muslimbrüder zeigten auf den Koran: Steht dort nicht geschrieben, dass “die Männer den Weibern überlegen sind” (Sure 4, Vers 34) und “den Vorrang vor ihnen” haben (Sure 2, Vers 228)? Wenn auch der arme muslimische Schlucker gesellschaftlich nichts zu sagen hatte, bestärkten ihn die Islamisten in dem Glauben, wenigsten die Frauen in seinem Haus weiterhin beherrschen zu können. Dies war für einen Männerverein, wie dem der Muslimbruderschaft von großer Bedeutung.
In den Vierziger-und Fünfzigerjahren wanderten die Ideen der Muslimbruderschaft – darunter auch ihr Judenhass – durch Emissäre und durch Übersetzungen vom sunnitischen Ägypten in den schiitischen Iran, wo sie 1979 mit Ayatollah Khomeini sogar an die Macht kamen.
Hier wurde der Frauenhass der Muslimbruderschaft erstmals Staatspolitik: Noch im Februar 1979, dem Monat seiner Machtergreifung, annullierte Khomeini das Recht der iranischen Frauen, sich scheiden zu lassen. Im März 1979 wurde Frauen das Richteramt verboten und erstmals ein junges Paar öffentlich ausgepeitscht, weil es eine unkeusche Beziehung unterhalten hatte. Kurze Zeit später wurde das Heiratsalter für Mädchen auf 9 Jahre herabgesetzt. Unter Khatami wurde es zwei Jahrzehnte später zwar auf 13 Jahre angehoben – doch auch dies war Kindermissbrauch.
1983 folgte ein Gesetz, dem zufolge die Nichtbeachtung der Zwangsverschleierung mit 74 Peitschenhieben bestraft werden kann. Die Folge war täglicher Terror: Allein im Jahr 2007 wurden 150.000 Frauen festgenommen, weil sie die Kleiderordnung nicht beachtet hatten. Unzählige Familien haben schmerzhafte Erinnerungen daran, wie gedemütigte Väter ihre Töchter von der Wache abholen mussten; wie Mütter überall nach ihren Kindern suchen, krank vor Sorge, sie könnten verhaftet worden sein.
Golineh Atai, eine prominente Exiliranerin, erinnert an die aggressiven Konfrontationen auf der Straße: Frauen werden an den Haaren gepackt, wie wilde Tiere mit einer Schlinge eingefangen und aus fahrenden Polizeiautos auf die Straße geworfen.
Unser kleiner Rückblick hat gezeigt, dass es heute im Iran um die Befreiung der Frau von islamistischer Knechtschaft geht. Die Behauptung, die Durchsetzung des Kopftuchzwangs habe “nichts, aber auch gar nichts mit Religion … zu tun”, ist falsch.
Der Kopftuchzwang basiert nicht auf der Marotte irgendwelcher Idioten, sondern auf einer spezifischen, aber durchaus verbreiteten Auslegung des Islam. Nicht zufällig prangert das Regime die Versuche der iranischen Frauen, sich vom Kopftuchzwang zu befreien, als Verstöße gegen den Koran und den Islam an. Nicht zufällig hat das “Büro für Islamisches Verhalten” auch noch Ende Oktober eine Lockerung der Verschleierungspflicht entschieden abgelehnt.
Islamistische Herrschaft setzt die Unterdrückung der Frau voraus. Auch deshalb wird Aufstand wird unter der Parole “Jin, Jiyan, Azadi” “Frau, Leben, Freiheit” geführt. Sein Ausgang ist von globaler Bedeutung, betrifft aber besonders die islamische Welt.
Eigentlich müssten die Islamverbände im Westen die Islamauslegung dieses Regimes massiv kritisieren oder ausschließen. Stattdessen arbeiten einige von ihnen, zum Beispiel in Deutschland, mit Statthaltern des Teheraner Regimes zusammen. Diese Islamverbände bleiben, solange sie keine Mitverantwortung übernehmen, ein Teil des Problems.
Ich komme zu den weltanschaulichen Grundlagen des iranischen Regimes. Man muss sie kennen, um dieses Regime richtig verstehen zu können.
Das Revolutionsprogramm des Regimes
Der oberste Führer im Iran bezeichnet sich als Revolutionsführer; die auf ihn eingeschworenen Truppen nennen sich Revolutionsgarden. Solche Bezeichnungen sind weder eine Irreführung noch ein Scherz. Wir müssen sie ernst nehmen: dieses Regime versteht sich tatsächlich als eine revolutionäre Macht.
Das Programm dieser islamischen Revolution ist in dem wichtigsten Werk von Ruhollah Khomeini mit dem Titel “Der Islamische Staat” niedergelegt, das 1978 auf Persisch erschien.
“Der islamische Staat ist ein Staat des Gesetzes” heißt es in dem Grundlagen-Buch Khomeinis und das klingt noch ganz vertraut. Doch dann folgt ein Zusatz, der die Kluft zwischen dem Teheraner Regime und dem Rest der Welt markiert: “In dieser Staatsform gehört die Souveränität einzig und allein Allah.”
Das aber ist der Kerngedanke des Gottesstaates: Den autonomen Menschen gibt es nicht. Unser größtes Verbrechen besteht aus Sicht der Ayatollahs darin, dass wir so arrogant sind, zu glauben, wir könnten selbst entscheiden, welche Gesetze wir uns geben. Sie beschimpfen uns als “Welt der Arroganz”, weil wir uns nicht den Gesetzen der Scharia beugen, sondern stattdessen freigewählte Vertreter in die Parlamente wählen, die dort freie Entscheidungen treffen. 1979 waren es zuerst die iranischen Frauen, die die Konsequenzen dieser Doktrin zu spüren bekamen.
Die Übertragung der Souveränität “einzig und allein” auf Allah hat aber noch weitere Konsequenzen:
Erstens: Wo es keine autonomen Menschen gibt, kann es auch keine Parteien im westlichen Sinne geben, sondern bestenfalls divergierende Flügel einer einzigen Partei, der “Partei Allahs”. Dies schränkt die immer wieder geschürten Hoffnungen im Westen, man könne auf angeblich vernünftige Kräfte wie zum Beispiel den vorherigen Präsidenten Hassan Rohani setzen, gewaltig ein, sind sich doch alle Amtsträger darin einig, dass alle Politik dem Willen Allahs unterzuordnen sei. Alle “Flügel” agieren unter der Voraussetzung, dass das Scharia-Recht sakrosankt ist, keiner dieser Flügel stellt zum Beispiel den Kopftuchzwang infrage.
Zweitens hat sich nach iranischer Logik auch die internationale Ordnung der Scharia zu unterwerfen, weshalb das säkulare internationale System als “satanisch” abgelehnt wird. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zwischen der antiwestlichen Haltung Russlands und Chinas und der antiwestlichen Haltung Irans. Dass Teheran die internationale Ordnung explizit verhöhnt, zeigte sich bei der Besetzung der US-Botschaft in Teheran und der 444 Tage andauernden Geiselnahme des Botschaftspersonals, dies zeigt sich bei terroristischen Aktivitäten weltweit und bei der Todesfatwa gegen den britischen Staatsbürger Salman Rushdie, es zeigt sich bei der Holocaust-Leugnung und den Vernichtungsankündigungen gegenüber Israel.
So fordert die islamistische iranische Verfassung in Artikel 3 eine “Außenpolitik auf der Grundlage der islamischen Kriterien” und zitiert in Artikel 151 als verbindliche Richtschnur den folgenden Vers aus dem Koran: “So rüstet wider sie, was ihr vermögt an Kräften und Rossehaufen, damit in Schrecken zu setzen Allahs Feind.” (8:60)
Hier wird die umfassende Aufrüstung gegen “Allahs Feind” zum Verfassungsgebot erklärt und damit auch der Zweck des Atomprogramms offenbart. Doch haben sich unsere Regierungen und Medien für den Wortlaut dieser islamistischen Verfassung jemals interessiert?
Drittens hat Khomeini den Todeskult der Muslimbruderschaft nach dem Motto: “Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod” radikalisiert. Seinem theologischen Weltbild zufolge ist das Leben wertlos und der Tod der Beginn der wahren Existenz. “Die natürliche Welt”, erklärte Khomeini im Oktober 1980, “ist das niedrigste Element, der Abschaum der Schöpfung.” Entscheidend sei das Jenseits: die “göttliche Welt – die ewig ist”.
Nach Khomeinis Auffassung ist der Tod der Märtyrer nichts anderes als der Übergang von dieser Welt in die jenseitige Welt, wo sie ewig und in Herrlichkeit weiterleben werden. Ob der Krieger die Schlacht gewinnt oder verliert und den Märtyrertod stirbt, in beiden Fällen ist ihm der Sieg gewiss: entweder ein weltlicher oder ein geistlicher. Dieser “dem Schiitentum innewohnende Kult des Märtyrertums … kann dem Iran gewisse praktische militärische Vorteile verschaffen”, prahlte 2012 die Regime-Zeitschrift “Iranian Review of Foreign Affairs”.
Viertens aber leitet sich aus dem Anspruch, als religiöse Avantgarde für eine andere Welt zu kämpfen, ein globales und messianisches Programm ab. “Unsere Revolution”, erklärte Ali Khamenei, der heutige Revolutionsführer, “ist der Wendepunkt in der modernen Weltgeschichte … Unsere historische Bewegung schafft eine neue Zivilisation.” Aus Sicht der Ayatollahs setzt diese “neue Zivilisation” die Auslöschung des jüdischen Staates voraus. Und natürlich soll der Kampf so lange weitergehen, bis sich die radikalschiitische Interpretation des Islam überall auf der Welt durchgesetzt hat.
Dieser missionarische Eifer wird nicht nur durch das Emblem der Islamischen Republik verkörpert – das Wort ,Allah’, das in arabischer Schrift so geschrieben ist, dass es eine stilisierte Weltkugel bildet – sondern auch durch die schiitische Phantasie von einer religiösen Vorsehung verstärkt: Dieser Phantasie zufolge werde in naher oder ferner Zukunft der 12. Imam – ein direkter Nachkomme des Propheten Mohammed, der im Jahr 874 in der Versenkung verschwand – zurückkehren, die Macht übernehmen und die Welt von allen Übeln befreien.
Je mehr Chaos und Krieg auf der Welt herrsche, desto wahrscheinlicher sei die Ankunft dieses Messias, schreiben schiitischen Ideologen. Dieser Mythos ist in der iranischen Verfassung verankert. Artikel 5 dieser Verfassung betont, dass man sich die baldige Wiederkehr dieses imaginären 12. Imam erhofft, und dass der Revolutionsführer nur bis zu diesem Zeitpunkt als Stellvertreter des 12. Imam regieren darf.
Heute lehnt eine übergroße Mehrheit der Iranerinnen und Iraner derartige Phantasien und Utopien ab. Es gibt kein anderes, sich islamisch definierendes Land, wo der Hass auf den Islam, auf die Mullahs und die Ayatollahs so groß ist wie im Iran. Einige Zahlen vom Sommer dieses Jahres: Schon vor Beginn des Aufstands lehnten 67 Prozent der Bevölkerung die Theokratie ab, 72 Prozent wollten keine religiöse Figur an der Spitze des Staates. Fast die Hälfte der Bevölkerung bezeichnete sich nicht länger als religiös. 74 Prozent der befragten Frauen und 71 Prozent der Männer lehnten den Kopftuchzwang ab.
Doch gerade weil sich das Gros der jungen Generation von der iranischen Staatsdoktrin abwendet, nimmt der Terror gegen den leisesten Ansatz von Opposition zu. Im Eilverfahren wurden kürzlich die Gehälter der Streitkräfte und der Polizei um 20 Prozent erhöht. Das Regime hofft, sich mit einer Mischung aus Bestechung und brutalster Repression an der Macht halten zu können. Es träumt davon, dank eigener Atomwaffen nicht länger angreifbar zu sein.
Alle Literaturverweise befinden sich im Originalvortrag auf der Website
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